(In der Literaturzeitschrift ‚Fettliebe‘ 2016 veröffentlicht)
Es war ein heißer Sommertag, als die 14 jährige Eva aus der Schule kam. Sie wollte einfach nur nach Hause. Noch zwei Straßen lagen vor ihr. Sie bog von der Hauptstraße nach rechts in die erste Seitenstraße ein.
Das Dorf wirkte wie ausgestorben. Außer ihr war kein einziger Mensch unterwegs und kein einziges Auto fuhr. Auch kein einziges Geräusch war zu hören. Sie wunderte sich sehr darüber.
Plötzlich hörte sie Panzer. Bei Panzer dachte sie immer an Krieg. Erschrocken drehte sie sich zur Hauptstraße um. Bald rollte der erste an ihr vorüber. Eva erkannte jetzt, dass es amerikanische Soldaten waren. In der nahen Stadt stand ihre Kaserne.
Wenn sie durch das Dorf fuhren, stellten sich die Schulkinder an den Straßenrand, lächelten ihnen zu und bildeten mit zwei Fingern einen V. Die Soldaten taten dann das gleiche.
Eva stellte sich aber mit leicht gespreizten Beinen mitten auf die Seitenstraße und blickte zur Hauptstraße. Sie hatte ein breites schönes Lächeln auf den Lippen.
Sexy sah sie aus mit ihrem dünnen handgenähten Jeansrock und dem hellblauen T-Shirt, das so gut dazu passte. Fand sie jedenfalls. Ihre orange Schultasche hielte sie mit beiden Händen am oberen Griff und ließ sie zwischen ihren gespreizten Beinen baumeln.
Der Soldat im ersten Panzer begann, genauso breit zurück zu lächeln. Bald war er für Eva nicht mehr zu sehen. Ein weiter Panzer rollte hinterher. Die zwei Amerikaner darin hatten dasselbe breite Lächeln auf den Lippen, als sie in Evas Sichtfeld einrollten. Sie musste somit schon zu lächeln begonnen haben, bevor sie Eva sehen konnten. Starr lächelnd zogen sie an ihr vorüber und ein weiterer Panzer tauchte auf. So ging es weiter und weiter. Immer, wenn ein Panzer an ihr vorüber fuhr, lächelte der Mann oder die Männer darin schon. Tatsächlich alle ohne Ausnahme und alle lächelten genauso breit wie Eva. So breit, wie es nur möglich war. Mit diesem Lächeln rollten sie wieder aus ihrem Sichtfeld heraus und die nachfolgenden erschienen darin mit diesem Lächeln.
Eva stand schon einige Minuten lang immer in der gleichen Pose da und lächelte ununterbrochen so breit, wie sie konnte. Bewegungslos immer in derselben Haltung mit ihrer zwischen ihren Beinen baumelten Schultasche. Es strengte sie nicht an, noch nicht einmal ihr Lächeln. Sie wartete auf das Ende des Panzerkonvois. Es müsse doch bald kommen, denn schon sehr viele Panzer waren an ihr vorüber gefahren.
Voll und ganz glücklich fühlte sie sich. Nie wurde sie beachtet und jetzt lächelten ihr so viele Männer zu. Starr und bewegungslos, genau wie sie.
Panzer reihte sich an Panzer. Kein einziges Auto war im Straßenverkehr darunter geraden.
Einige Minuten später stand sie immer noch so da. Die Kolonne war noch nicht zu Ende. Immer noch fuhren die Soldaten starr lächelnd an ihr vorbei. Einige Kilometer lang war der Konvoi und es kamen immer und immer mehr Panzer. So viele sah Eva noch nie auf einmal. Anscheinend rollte hier die gesamte US-Armee ein.
Evas Glücksgefühl wuchs. Es war ein inneres Glück, das sie vollkommen erfüllte. Eine Art von Freude, das Ziel ihrer Wünsche. So wie der glücklichste Tag im Leben einer Frau sein sollte, ihr Hochzeitstag. Nur Eva hatte keine Vorbereitung dazu gebraucht, es war ihr einfach zugefallen und jetzt war sie mittendrin im Glück. Es war gar wie vorbereitet, weil alle jungen Männer wie auf ein geheimes Zeichen zu lächeln begannen, bevor sie Eva sehen konnten. Dieses Wunder machte Eva besonders glücklich. Sie fühlte vor Glück ihr Herz rasen. Ihr ganzer Körper war von Glück erfüllt. Das mussten Hormone sein, eben Glückshormone, die sich in ihrem Körper ausbreiteten, überlegte sie.
Noch den ganzen Tag wäre sie so stehen geblieben, aber die Kolonne musste schließlich irgendwann zu Ende sein. Sie stand nämlich schon ziemlich lange regungslos und nur lächelnd da. Doch es zogen immer und immer mehr Fahrzeuge an ihr vorbei. Alle mit Männer darin, die so breit wie möglich lächelten. Keiner winkte ihr zu. Alle bewegten sich nicht. So wie Eva.
Eva wurde glücklicher und glücklicher. Sie hatte das Gefühl, vor Glück bald sterben zu müssen.
Eine halbe Stunde oder länger stand sie mitten auf der Seitenstraße. Endlich rollte der letzte Panzer an ihr vorbei. So konnte sie nicht mehr vor Glück sterben. Sie blieb noch zwei Minuten auf der Straße stehen und wartete auf einen eventuellen Nachzügler, der allerdings nicht kam.
Endgültig war an diesem Tag das Brummen der Panzer im Dorf verstummt. Eva setzte ihr Nachhauseweg fort. Ihr Herz schlug immer noch vor Glück.
Wieder war nur sie unterwegs und sonst nichts und niemand. Niemand konnte sie beobachtet haben. Sie nahm sich vor, das auch niemanden zu erzählen. Denn niemand hier hätte sie verstanden. Schon gar nicht ihre Eltern. Aber die amerikanischen Soldaten hatten sie verstanden. Glück ist etwa, das man nur mit bestimmten Personen teilen kann.
Eva hielte sich noch lange in ihrem Zimmer auf. Ihr Herz pochte noch und sie hatte noch dieses große Glücksgefühl, als sie stundenlang vor dem Spiegel stand und sich zulächelte.
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