Mittlerweile ist das eingetreten, was ich seit Jahren kommen sehen und befürchtet habe. Die zwei Weiber gehen bei jedem Mittagessen immer stärker gegen mich vor als früher. Sie haben nämlich begriffen, dass ich tatsächlich in die Großstadt ziehen und dort eine Kosmetikschule besuchen möchte. Das wollen sie mit aller Macht verhindern.
Vorher haben sie meinen Berufswunsch Kosmetikerin nicht für voll genommen. Ich habe mich für sie angehört, wie eine Dreijährige, die Astronautin werden möchte. Hier habe ich alles, sagen sie immer noch. Deswegen soll ich angeblich immer hier im Haus bleiben und nicht Kosmetikerin werden.
Man kann die beiden nicht imitieren. Sie wirken wie Insassen einer Irrenanstalt.
Ihre Sprüche sind zusammenhanglos, skurril, absurd, verrückt, einfältig, grotesk, unlogisch und völlig ohne Verstand. Die Beschreibung ‚ganz komisch‘ trifft es für mich am besten. Bevor sie es begriffen haben, ist es bei unseren Mittagessen auch nicht anders gewesen, doch jetzt erblüht alles in einem Ausmaß weit über vorstellbare Grenzen hinaus. Wie Ping-Pong-Bälle spielen sie sich ihre Sprüche zu. Kaum hat die eine etwas gesagt, bastelt die andere daraus eine Bemerkung, die die vorherige noch übertrifft.
Den Beruf Kosmetikerin verstehen sie hinten und vorne nicht und können sich trotzdem stundenlang darüber die Mäuler zerreißen. Haarsträubende Dinge fallen ihnen dazu ein.
Ausgerechnet derjenige kommt dabei nicht aus dem Lachen heraus, der mit ihnen unter einen Dach lebt. Er, Ehemann der einen und Sohn der anderen und mein Vater. Pausenlos lacht er, während es zwischen den zwei Weibern pausenlos hin und her und her und hin geht.
Wie er das Wort Kosmetikerin ausspricht. Dieser Beruf erscheint ihm abartig. Den zwei Weibern kommt es schwer über die Lippen. Als ob Kosmetikerin etwas Unanständiges sei. Sie schämen sich tatsächlich für meinen Berufswunsch. Deswegen wollen sie ihn mir kaputtmachen.
Kosmetikerin ist „Gesicht vollschmieren“. So beschreiben alle drei diese Tätigkeit. Zwischen Schminken und Pflegen sehen sie keinen Unterschied. Weil sowohl beim Schminken als auch beim Pflegen etwas ins Gesicht geschmiert wird. Wieso man etwas in ein Gesicht schmieren soll, wenn doch jeder ein Gesicht hat, fragen die zwei Weiber bei jedem Mittagessen.
Sie sind nicht die Einzigen, die das nicht verstehen. Alle hier im Dorf denken so. Eben nur bis zu ihren Grenzen im Kopf. Sie geben den zwei Weibern Recht. Die ganz jungen natürlich nicht. Sie verstehen Kosmetik.
Wenn sich die zwei Weiber über meinen Berufswunsch ausgelassen haben, ziehen sie über meinen geplanten Umzug her. Sie halten mich für schlecht. So schlecht, wie es eigentlich kein Mensch sein kann. Was ihnen alles über meinen Charakter und mein Sexualleben einfällt, überschreitet die Grenzen von Dummheit und Verrücktheit.
Über mich reden sie schon lange schrecklich dummes Zeug und ihr Mann und Sohn kann sich seitdem nicht mehr darüber vor Lachen halten. Vor ein paar Jahren hat es angefangen und wird kein Ende nehmen, wenn ich hier bleibe. Deswegen möchte ich hier heraus.
Momentan haben sie Hochsaison. Die zwei Weiber greifen ihre Sprüche gegenseitig auf und pumpen sie in immer anderen Formationen hoch, wie ein Springbrunnen das Wasser. Bei jedem Mittagessen sprudelt die Abscheu über mich wie stinkender Eiter aus ihnen heraus. Sie sind nicht mehr aufzuhalten. Eine verrückte furchtbar dumme Bemerkung jagt die andere. Jeden Tag beleidigen und kränken sie mich unheimlich schlimm, während sie vor ihren Tellern sitzen und nebenbei essen.
Sie wenden die Zermürbe-Methode an, wollen mich damit zum Einknicken zwingen. Wenn ich aufgebe, wird zwar das Schlimmste aufhören, aber alles wird wieder so wie früher. Immer noch ganz schlimm, nur nicht ganz so furchtbar schlimm wie jetzt. Was sie mir zurzeit antun, sprengt alle Grenzen. Mein Leben lang werde ich nicht darüber hinwegkommen. Über diese grausame Art, mit der sie mir jede Würde rauben wollen.
Die einzige Weise, auf der sich der Mann der einen und Sohn der anderen und mein Vater daran beteiligt, ist, über diese verrückten Sprüche zu lachen. Je stärker ich abgewertet werde, um so stärker lacht er. Noch nicht einmal in dieser Situation hilft er mir. Auch das kann ich nicht verzeihen. Hauptsächlich steckt kalkulierte Überlegung dahinter. Er baut darauf, dass die zwei Weiber es schaffen werden, meinen Willen zu brechen. Wie die zwei Weiber selbst darauf bauen.
Er hat mir nie geholfen. Wer jemals dieses befreiende Lachen gehört und sein Gesicht dabei gesehen hat, fragt sich nicht, warum er mir nicht hilft. Vor allem verzeihe ich ihm seine Freudentränen über diese verrückten Sprüche und mein Leid nicht.
Zurzeit kann er nicht mehr zu Ende lachen. Kaum hat die eine etwas gesagt, muss er darüber lachen. Während er lacht, sagt die andere etwas, und er muss darüber lachen, bevor er über den vorigen Spruch ausgelacht hat. Er verschluckt sich beim Lachen, lacht bei jedem Mittagessen ununterbrochen, hustet und pustet und sein Kopf läuft puterrot an. Vor Lachen steigen ihm die Tränen in die Augen.
Noch stärker als über diese komischen Einfälle lacht er immer noch über seine beiden Lieblingssprüche ‚Die ist eine Nutte‘ und ‚Die ist im Krankenhaus vertauscht worden‘. Gemeint bin ich. Diese Sätze lassen die zwei Weiber jetzt vermehrt fallen.
Mit dem erstgenannten Spruch hat vor Jahren alles angefangen. Seine Frau hat ihn beim Mittagessen geklopft. Völlig grundlos aus dem Nichts. Er hat so darüber lachen müssen. Genauso wie er jetzt noch darüber lachen muss. Beim nächsten Mittagessen hat sie ausprobiert, ob er wieder darüber lacht, wenn sie es noch einmal sagt. Tatsächlich hat er noch einmal so darüber gelacht. Ihre Schwiegermutter hat es ihr nachgeplappert. Die hat ihr schon immer alles nachgeplappert. Er hat dann noch einmal über den nachgequatschten Satz so gelacht. Da ist es mit der Ruhe am Mittagstisch zu Ende gewesen. Die zwei Weiber haben dann kein anderes Thema mehr als mich gehabt und nur schlecht über mich geredet. Seitdem bin ich für sie eine Nutte. Das haben sich die beiden richtig eingeredet. Eine, die es mit jedem treibt. Besonders mit den ganz schlechten Typen, die sonst keine will. Keine bezahlte Nutte. Aber das habe ich nicht kapiert gehabt. Für ihn bin ich noch dieselbe geblieben. Er hat eben immer nur gelacht.
Während er lacht, stochert er blind mit der Gabel in seinem Teller herum. Es gelingt ihm vor lauter Lachen kaum, einen Bissen darauf zu bekommen. Den Happen zu kauen gelingt ihm absolut nicht.
Unsere Mittagessen sind auch vorher nie Essen gewesen, sondern Shows, zu denen Essen gereicht wurde. Jetzt sind wir am absoluten Höhepunkt angekommen. Nicht an der Grenze, wir gehen alle vier über unsere Grenzen heraus. Bei den zwei Weibern sprudelt Dummheit und Bosheit über den Rand des Möglichen. Er lacht und lacht und lacht; lacht ununterbrochen. So viel Lachen kann man nicht, ohne sich dabei tot zu lachen, denke ich jedes Mal. Aber dieses Lachen bringt eher mich um. Bei jedem Mittagessen bildet sich irgendwann ein Kloß in meinem Hals. Gleichzeitig spüre ich meine Tränen aufsteigen. Ich kann sie nicht mehr zurückhalten. So wie er lachen muss, muss ich weinen. Bevor sie mir in die Augen schießen, renne ich aus der Küche. Wenn ich vor ihnen weinen würde, würden sich die zwei Weiber auf dem richtigen Weg fühlen und sich noch stärker ins Zeug legen. Zudem würden sie finden, es geschähe mir Recht. Er würde dazu lachen und mir seinen schadenfrohen Blick zuwerfen, den er mir nach jedem Lachen zuwirft. Erst wenn ich den Tisch verlassen habe, isst er.
Derzeit ist alles viel schlimmer als in den vergangenen Jahren und trifft mich viel empfindlicher. Diese Beleidigungen schmerzen mich so sehr. In meinem Zimmer weine ich mindestens eine Stunde hemmungslos hinter verschlossener Zimmertür. So stark und so lange wie nie zuvor. Zwei Packungen Tempotaschentücher verbrauche ich. Ich kann es nicht verarbeiten. Verzeihen schon gar nicht. Ich kann sowieso nicht mehr. Es macht mich so fertig. Nur noch an Selbstmord denke ich. Dabei könnte ich alleine schon vor Kummer sterben. Ich kann es nicht ertragen und ertrage es doch.
Als Entschädigung klaue ich nachts viel Geld aus der Geldkassette. Nein, ich klaue nicht; ich lasse mich jeweils angemessen bezahlen. Je schlimmer sie mir wehtun, desto höher ist die Bezahlung. Meint er etwa, er kriegt ein solches Riesenvergnügen jeden Tag umsonst? Für ein vergleichbar großes Vergnügen anderer Art müssen andere reiche Leute viel Geld hinblättern. Dabei weiß ich, dass mein Schmerz mit keiner Summer wieder gut zu machen ist.
Früher habe ich auch heimlich in meinem Zimmer geweint und an Selbstmord gedacht. Bis zur Volljährigkeit wollte ich das nämlich nicht ertragen müssen. Ich habe es ausgehalten, weil ich meine Freiheit kommen gesehen habe. Jetzt mit 18 möchte ich mich wegschmeißen, weil ich es nicht mehr verkraften kann. Sie fügen mir keine Schmerzen zu, sondern Wunden. Die seelischen werden bleiben, die körperlichen abheilen. In meinen Achselhöhlen haben sich Kerben gebildet, die aussehen wie mit einem Messer oder einer Rasierklinge geritzt. Ich bringe sie mit meinem Kummer in Verbindung. Anders kann ich sie mir nicht erklären, denn sie sind von alleine entstanden.
Die drei haben immer gedacht, ich würde für alle Zeiten in diesem Haus bleiben und ihnen noch zum Dank für die Demütigungen das Geschäft schmeißen. Erst mal soll ich dazu Kauffrau lernen, dann hier mitarbeiten und irgendwann später die Firma übernehmen.
Auch deshalb verstehen sie meinen Berufswunsch Kosmetikerin nicht. Eben weil hier alles da ist, ein florierendes Geschäft und Geld. Das ist irgendwo nachvollziehbar. Dafür hätte ich mich auch gerne von meinem Traumberuf verabschiedet. Sicherlich habe ich ihnen öfters den Trick verraten, mit dem sie ganz einfach ihr Problem lösen können. Das haben sie auch verstanden. Nur nicht wieso.
Sie sagen mir nur die Wahrheit und ich bin dumm, weil ich nicht kapiere, wie gut sie es doch mit mir meinen. Sie müssen mir auch ständig die Wahrheit sagen, damit ich weiß, was mit mir los ist, weil ich zu dumm bin, um das selbst zu wissen. Das erklären mir die zwei Weiber dann.
Er sagt, sie würden es nicht so meinen und ich bräuchte mir nichts daraus zu machen, wenn sie so was zu mir sagen. Alle drei erklären mich zudem für dumm, weil ich so etwas als schlimm empfinde. Für meine Dummheit sehen sie übrigens noch ganz andere Beweise. Zum Beispiel meinen Berufswunsch Kosmetikerin. Jeder empfindet anders und es tut mir weh, habe ich ihm gesagt und ihn um Hilfe gebeten. Er hat mich nur ausgelacht und mir mitleidig wie einem Dummen erklärt, dass Worte doch nicht wehtun können. Warum er sonst über solche Worte lacht, habe ich ihn dann gefragt. Wenn er nämlich nichts merken würde, könnte er auch nicht darüber lachen. Er hat sich darauf schon wieder verstellt und mir mitleidig wie einem Dummen erklärt: „Die beiden sagen es und dann muss ich lachen. So kommt das.“
Angeguckt hat er mich davor und danach so, als ob ich dumm sei, um einen solchen einfachen Sachverhalt noch erfragen zu müssen. Was ich von ihm möchte, hat er mich noch anklagend gefragt und mir ganz unschuldig erklärt: „Ich kann doch nichts dafür, wenn ich über etwas lachen muss, das andere sagen.“
Dabei würden die zwei Weiber gar nicht solche Sprüche klopfen, wenn er nicht so darüber lachen müsste. Ja, er muss lachen, versucht das Lachen immer zu unterdrücken, aber es geht nicht.
Männer müssen alle so lachen, wenn eine Frau oder ein Mädchen Nutte genannt wird. Das habe ich gedacht, als er damit angefangen hat, weil die zwei Weiber es einfach ohne zu meckern hingenommen haben. Frauen heiraten solche Männer, weil es keine anderen gibt. Ja, das habe ich gedacht und wegen solchen Männern selbst nie heiraten wollen. Heute weiß ich es besser. Die zwei Weiber klopfen ihre bösen Sprüche, weil sie mich damit verletzen wollen und er mich darauf noch einmal mit seinem Lachen verletzt. Alle drei wollen mich hier nie heraus lassen, weil sie immer so weiter machen wollen. Aber heiraten werde ich nie, wenn ich endlich hier draußen bin. Ich weiß doch jetzt, was Familie bedeutet.
Die Firma bietet mir auch keinen finanziellen Anreiz. Noch nie habe ich Geld ausgeben dürfen. Weil ich hier alles habe, sagen sie. Die zwei Weiber werden einen so schlimmen Krach mit mir machen, wenn ich mir von meinem Gehalt etwas kaufen werde. Vom Geldverdienen ist auch nie die Rede gewesen. Ich glaube, die drei wollen mich erst gar nicht bezahlen.
Nur eine Mietwohnung weit weg in der Großstadt brauche ich. Immer wieder fragen sie mich, wie ich ohne Geld die Miete bezahlen will. Das einzige, das ich aber will, ist hier heraus kommen. Nichts als heraus aus diesem Haus. Ob ich die Miete zahlen kann, ist dagegen unbedeutend. Es wird schon irgendwie weitergehen, wenn ich draußen bin. Weiter und nie mehr wieder zurück. Wenn ich aus Armut wieder zu ihnen zurück kehren werde, werden sie mich nämlich wieder so schlimm fertig machen. Vor allen Dingen habe ich keine Kraft mehr, diesen Kampf noch einmal zu kämpfen. Genau die Zustände wie im Moment werden dann wieder herrschen, wenn ich sie erneut verlassen möchte. Deshalb werde ich wirklich alles dafür tun, um nie mehr wieder zu ihnen zurück zu müssen.
Jetzt darf ich mich nicht kaputtkriegen lassen und muss mich freikämpfen. So wie die zwei Weiber ungeahnte Dummheit aufsprudeln lassen, muss ich jetzt ungeahnte Kräfte mobilisieren. Ich muss an meine Grenzen und darüber hinaus gehen. Einfach nur, um das zu tun, was ich mein ganzes Leben lang gewollt habe. Von ihnen frei kommen. Nie mehr wieder möchte ich mich derart beleidigen lassen. Vor allen möchte ich nie mehr wieder durch ein solches Lachen verhöhnt werden. Nie mehr wieder möchte ich von diesem allzu schadenfrohen Blick getroffen werden, mit dem er mich nach jedem Lachen anschaut. Das macht er absichtlich. Er möchte mir den letzten Rest mit diesem Blick geben und gibt ihn mir. Das Schlimmste an seinem Lachen ist dieser Blick, den er mir jedes Mal danach zuwirft. Dieser Blick tut mir am meisten weh. Wie er aussieht, wenn er mich so anguckt. Als bräuchte er keine andere Befriedigung als diese Sprüche und sein Lachen darüber.
Nur eines lässt mich alles durchstehen und hält mich am Leben. Das ist der Wille, dieses Haus bald verlassen zu können. Das, was ich zurzeit durchleide, soll der Preis für meine baldige Freiheit sein. Die drei haben den Kampf verloren, bevor sie ihn zu Ende gekämpft haben und wissen es nicht.
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